150 Jahre „neue” Evangelische Kirche zu Biskirchen

von Dr. Wal­ter Hilbrands (Lang­göns)

Die evan­ge­lis­che Kirche in Biskirchen, einem Stadt­teil von Leun im hes­sis­chen Lahn-Dill-Kreis, ist eine Saalkirche, die in den Jahren von 1868 bis 1870 im neu­ro­man­is­chen Rund­bo­gen­stil errichtet wurde. An dem Entwurf hat­te Friedrich August Stüler maßge­blichen Ein­fluss. Sie ist auf­grund ihrer geschichtlichen, kün­st­lerischen, städte­baulichen und wis­senschaftlichen Bedeu­tung hes­sis­ches Baudenkmal.

Geschichte

Der Name des Ortes („Bischof­skirchen”) geht wohl darauf zurück, dass der Würzburg­er Bischof Rudolf I. (892 – 908) in Biskirchen eine Kirche grün­dete, die er dem Stift für Reg­u­larkanon­iker in Gemün­den im West­er­wald über­gab. Es wird ver­mutet, dass er eine hölz­erne Kirche erricht­en ließ. Später wurde sie vom Stift den Her­ren von Runk­el und West­er­burg über­tra­gen, die seit dem 13. Jahrhun­dert als Patronat­sher­ren nach­weis­bar sind.

Im Jahr 1338 ist Diet­rich Scherre als erster Pfar­rer namentlich bezeugt. Die Her­ren von West­er­burg hat­ten 1338, 1459 und 1473 das Kirchen­pa­tronat inne. Biskirchen gehörte im Mit­te­lal­ter zum Archipres­byter­at Wet­zlar im Archidi­akonat St. Luben­tius Dietkirchen in der Erzdiözese Trier.

Es bildete schon in vor­refor­ma­torisch­er Zeit mit Bis­senberg und Stock­hausen ein Kirch­spiel, das in nachre­for­ma­torisch­er Zeit fortbestand.

Die Aus­grabun­gen der soge­nan­nten „Bischof­skirche” in der Lahn­niederung, wie der Vorgänger­bau der heuti­gen Kirche genan­nt wurde, förderten im Jahr 1939 eine zweis­chif­fige roman­is­che Kirche (23,10 Meter Gesamtlänge) mit Quadratchor (außen 7,90 Meter bre­it und innen 4,20 Meter, 8,00 Meter lang) und hal­brun­der Ostap­sis (außen 7,00 Meter bre­it, innen 4,80 Meter) zutage. Das schmale Nord­schiff (3,50 Meter bre­it) schloss in der­sel­ben Höhe wie das zweigeteilte Mit­telschiff (außen 12,25 Meter lang, 6,50 Meter bre­it, etwa 4,00 Meter lichte Bre­ite) mit ein­er Ostap­sis ab. Im Süden des Chorquadrates war ein quer­schif­far­tiger hal­brun­der Apsis­bau ange­baut (außen 6,70 Meter bre­it, 5,40 Meter tief).

Ver­mut­lich war ursprünglich eine dreis­chif­fige (basi­likale) Anlage ohne Quer­haus geplant. In ein­er zweit­en Bauphase in spät­go­tis­ch­er Zeit wurde das Nord­schiff aufgegeben und in ein­er drit­ten Phase der südliche Anbau in ein Rechteck umge­baut und das Chorquadrat Rich­tung Nor­den durch einen schmalen rechteck­i­gen Anbau erweit­ert. Auf­grund der spär­lichen schriftlichen Über­liefer­ung ist eine Datierung schwierig, im 10. oder frühen 11. Jahrhun­dert nicht aus­geschlossen, aber im 12. Jahrhun­dert am wahrscheinlichsten.

Mit Ein­führung der Ref­or­ma­tion im Jahr 1549 wech­selte die Kirchenge­meinde zum evan­ge­lis­chen Beken­nt­nis. Nach drei Jahren Vakanz wird 1552 als erster evan­ge­lis­ch­er Pfar­rer ein Christophel N. genan­nt, als die Grafen von Leinin­gen-West­er­burg das Patronat innehat­ten. 1582 führte Graf Kon­rad von Solms-Braun­fels das reformierte Beken­nt­nis offiziell ein. Die „Bischof­skirche” war immer wieder vom Hochwass­er betrof­fen und wurde im 19. Jahrhun­dert zunehmend abgängig. Nach mehreren Hochwasserkatas­tro­phen im 18. Jahrhun­dert, bei denen das Lah­n­wass­er in der Kirche stand, wurde 1806/1807 eine umfassende Sanierung durchge­führt. Im Win­ter 1846/1847 blieb sie auf­grund von Ein­sturzge­fahr ges­per­rt. Die drei Gemein­den des Kirch­spiels zahlten ab 1858 in eine Kirchen­baukasse ein, die durch einen groß angelegten Kollek­te­naufruf der Lan­deskirche unter­stützt wurde.

Pfar­rer Karl Wetz (1821 – 1894) gab 1867 eine Predigt­samm­lung her­aus, deren Verkauf­ser­lös dem Kirchen­neubau und ein­er neuen Orgel zugutekam. Im Jahr 1862 hielt der Land­schaft­sze­ich­n­er Carl Theodor Reif­f­en­stein eine Ansicht von Osten fest. Sie zeigt ein Lang­haus mit Sat­tel­dach (14 – 15 Meter hoch), einen West­turm mit barock­em, oktog­o­nalem Hauben­helm (etwa 21 Meter hoch), eine roman­is­che, einge­zo­gene, hal­brunde Ostap­sis (10 – 11 Meter hoch) sowie ein südlichen Anbau.

Im Jahr 1867 erwarb die Gemeinde ein hoch gele­genes Grund­stück an ein­er Straßenkreuzung nördlich des Ortszentrums.

1867/1868 wurde ein neuer Fried­hof an der Bis­senberg­er Straße angelegt und der alte Fried­hof, der die „Bischof­skirche” umgab, ausgelassen.

Die heutige Kirche aus den Jahren 1868 bis 1870 erset­zte die „Bischof­skirche”, die 1876 abge­brochen wurde.

Das Abbruch­ma­te­r­i­al wurde 1887 von der Zivil­ge­meinde verkauft und diente zum Bau von Häusern. Ein erster Entwurf aus dem Jahr 1861 von Kreis­baumeis­ter May­er aus Wet­zlar in Form ein­er Kreuzkirche mit Dachre­it­er wurde von der Kirchenge­meinde abgelehnt.

Friedrich August Stüler verän­derte May­ers zweit­en Entwurf, der dann angenom­men und aus­ge­führt wurde. Die Grund­stein­le­gung erfol­gte am 9. Okto­ber 1868 und die Ein­wei­hung am 25. Novem­ber 1870. Die neue Kirche bot 1000 Men­schen Platz.

Auf Ver­an­las­sung von Pfar­rer Wetz wurde 1884 im Chor der alten Kirche als Gedenkstein ein Sand­stein-Obelisk mit Inschrift errichtet, der an die „Bischof­skirche” erin­nerte. Nach Vor­grabun­gen in den 1920er Jahren durch Hein­rich Zutt führte Hel­mut Schop­pa 1939 archäol­o­gis­che Aus­grabun­gen durch, da die Umge­hungsstraße L3020 in Pla­nung war, die über das Kirchen­gelände ver­lief und die Gebäud­er­este zer­stören würde. Der Bau der Umge­hungsstraße erfol­gte 1946 – 1948. Das Denkmal wurde 1952 in die noch erhal­tene Ecke der alten Fried­hof­s­mauer südlich der Weil­burg­er Straße zwis­chen Bahn­lin­ie und L3020 umge­set­zt und erhielt anlässlich der Sanierung 1978/1979 eine Bronzeplat­te mit Inschrift.

Im Jahr 1953 wurde im Nor­den ein Gemein­de­haus ange­baut. Bis 1958 war die polyg­o­nale Kanzel am nördlichen Chor­bo­gen auf einem sechs­seit­i­gen hohen Fuß errichtet und durch eine unter­halb der Nordem­pore einge­baute hölz­erne Sakris­tei mit angeschlossen­er Kanzel­treppe zugänglich.

Bei ein­er Innen­ren­ovierung 1958/1959 wur­den der Chor und eine Achse des Lang­haus­es abge­tren­nt, um Raum für eine Sakris­tei und einen Gemein­der­aum zu erhalten.

An der einge­zo­ge­nen Zwis­chen­wand erin­nert ein sand­ste­in­far­ben­er Rund­bo­gen an den orig­i­nalen Chor­bo­gen. Die bauzeitliche Kirchenausstat­tung wurde voll­ständig ent­fer­nt, die Empore um drei Achsen auf die Hälfte verkürzt und unter­halb des offe­nen Dachstuhl eine Flachdecke eingezogen.

An der Stirn­wand wurde ein 3,50 Meter hohes Kreuz aus 50 Met­allplat­ten, die in Mess­ing gefasst waren, ange­bracht, das Kirchen­maler Jörg Großhaus gestal­tet hatte.

1969 erhiel­ten die zwölf Fen­ster Antik­glas statt Bunt­glas. Die Span­ndecke von 1959 wurde zehn Jahre später durch eine Holzbalk­endecke erset­zt. Die Bänke wur­den zugun­sten eines Blocks zusam­mengeschoben. Die Kirche erhielt eine neue Beleuch­tung mit Pen­delleucht­en. Nach den bei­den Ren­ovierun­gen bot die Kirche noch etwa 480 Besuch­ern Platz. Zudem wurde der Glock­en­stuhl erneuert und ein Stahlgerüst eingebaut.

Von 2008 bis 2010 wurde eine Außen- und Innen­ren­ovierung durchge­führt. In einem ersten Bauab­schnitt wur­den bauer­hal­tene Maß­nah­men durchge­führt, die das schad­hafte Dachw­erk, das Giebel­mauer­w­erk, den Ein­gangs­bere­ich, die Fen­ster und die Sicherung der bekrö­nen­den Fialen umfassten. Es fol­gte eine Sanierung der Auße­nan­la­gen. Bei der Innen­ren­ovierung im Jahr 2010 wur­den eine neue Heizung einge­baut und der Mit­tel­gang wieder­hergestellt. Das große Kreuz an der Ost­wand wurde durch ein kleines Altarkreuz ersetzt.Eine geplante Frei­le­gung des Chors musste aus Kosten­grün­den abgelehnt werden. 

Die Kirchenge­meinde gehörte bis Ende 2018 zum Kirchenkreis Braun­fels, der 2019 in den Evan­ge­lis­chen Kirchenkreis an Lahn und Dill in der Evan­ge­lis­chen Kirche im Rhein­land aufging.

Der nach Nor­dosten aus­gerichtete Saal­bau ist an ein­er Straßenkreuzung nördlich des alten Ort­szen­trum in promi­nen­ter Lage auf ein­er Anhöhe errichtet. Die Saalkirche mit polyg­o­nalem Chor wird durch den schlanken West­turm beherrscht. Das Gebäude aus unver­putztem Bruch­stein­mauer­w­erk aus Schal­stein hat einen umlaufend­en Sock­el­bere­ich und wird von einem ver­schiefer­ten Sat­tel­dach bedeckt. Die Steine stammten aus dem Stein­bruch „Lohrberg” bei Stockhausen.

Die Gewände von Fen­stern und Por­tal­en, Ges­im­sen und Friesen sind in rotem Sand­stein aus­ge­führt. Die Außen­maße betra­gen 35,23 × 13,53 Meter und die Turmhöhe 36 Meter. Die Lang­seit­en der schlicht­en Saalkirche wer­den durch Lise­nen gegliedert, die bis zum Trauf­fries hin­aufre­ichen. Auch die Giebel an den Schmal­seit­en weisen Trauf­friese auf. Das sech­sach­sige Lang­haus hat über den vier Eck­lise­nen schlanke viereck­ige Türm­chen mit einem vier­seit­i­gen Spitzhelm und ein­er Kreuzblume als Bekrö­nung. In hal­ber Mauer­höhe find­et sich ein umlaufend­es Ges­ims, über dem gle­ich­mäßig gerei­hte Rund­bo­gen­fen­ster ein­ge­lassen sind. Sie haben zweibah­niges Maßw­erk und ein Rund­fen­ster im Bogen­feld. Je sechs Fen­ster an den Lang­seit­en und zwei West­fen­ster, die den Turm flankieren, belicht­en den Innen­raum; die Ost­wand ist fen­ster­los. Das Por­tal am west­lichen Ende der Süd­wand hat Gewände mit Stich­bo­gen. Eine wap­pen­schild­för­mige Bronzetafel von 1996 links des Süd­por­tals erin­nert an den Architek­ten Friedrich August Stüler. Der gewölbte Fün­fach­telschluss mit drei Rund­bo­gen­fen­stern ist einge­zo­gen und niedriger als das Schiff. Der West­turm auf qua­dratis­chem Grun­driss nimmt etwa ein Drit­tel der West­seite ein. Einzelne Ele­mente des Kirch­turms weisen Kennze­ichen der Neu­gotik auf.Der Sand­stein-Vor­bau hat zwei Freisäulen mit Wür­felka­pitellen und einen Dreiecks­giebel mit ein­er Kreuzblume. Das Rund­bo­gen­feld über dem West­por­tal ist mit einem Klee­blat­tkreuz verziert. Die Turmhalle dient als Ein­gangs­bere­ich. Der aufge­mauerte Turm wird durch zwei Lise­nen und Eck­lise­nen gegliedert, die in ein Rund­bo­gen­fries und kleine Dreiecks­giebel mün­den, die mit ein­er Kreuzblume verziert sind. Ein kleiner­er oktog­o­naler Auf­bau weist Eck­lise­nen und ein Rund­bo­gen­fries auf. In die vier Him­mel­srich­tun­gen sind die Zif­ferblät­ter der Tur­muhr ange­bracht. Der oktog­o­nale Spitzhelm wird von einem Turmk­nauf und einem schlicht­en Kreuz bekrönt.

Der schlicht aus­ges­tat­tete Innen­raum wird von ein­er flachen Holzbalk­endecke mit Querun­terzü­gen von 1970 abgeschlossen. Die hölz­erne, drei­seit­ig umlaufende Empore ruht auf achteck­i­gen Pfos­ten mit Wür­felka­pitellen. Die Brüs­tung hat hochrechteck­ige Fül­lun­gen. Die West­em­pore dient als Auf­stel­lung­sort für die Orgel. Das Kirchengestühl bildete von 1969 bis 2010 einen Block und lässt seit­dem wieder einen Mit­tel­gang frei. Unter­halb der Bänke wurde 1959 ein Holz­par­kett mit Mosaik­muster verlegt.

Der litur­gis­che Bere­ich vor der Ost­wand ist um drei Stufen erhöht und mit roten Sand­stein­plat­ten belegt. Der bauzeitliche Block­altar aus rosa-grauem Lah­n­mar­mor mit Sock­el und über­ste­hen­der Men­saplat­te ist mit pro­fil­ierten geometrischen For­men verziert: an der Seite Vierecke und vorne ein Kreis, der von zwei Viereck­en flankiert wird, deren Innen­seit­en konkav gewölbt sind. Der Altar ste­ht vor einem großen Rund­bo­gen, der dem 1959 abge­tren­nten Chor nachemp­fun­den ist. Das hölz­erne Tauf­beck­en mit aufge­set­zter Tauf­schale und die hufeisen­för­mige Kanzel stam­men bei­de aus dem Jahr 1959.

Für die Vorgängerkirche baute Johann Georg Bür­gy im Jahr 1822 eine Orgel mit zwölf Reg­is­tern auf einem Man­u­al und Ped­al. Das Instru­ment wurde 1871 an die evan­ge­lis­che Kirche Daub­hausen verkauft, wo es erhal­ten ist. Orgel­bauer Knauf aus Gotha baute im sel­ben Jahr für die neue Kirche ein zweiman­u­aliges Werk mit 18 Reg­is­tern. Die heutige Orgel stammt von Orgel­bau Hardt aus dem Jahr 1970. Sie ver­fügt über 14 Reg­is­ter auf zwei Man­ualen und Ped­al. Die Dis­po­si­tion lautet wie folgt:

Die Vorgängerkirche erhielt im 18. Jahrhun­dert zwei Glock­en, die in den Jahren 1701 und 1735 gegossen wur­den. Die kleine Glocke trug die Inschrift:
„Ich ruf zur Kirche und sing zum Grab, o Men­sch dein groß Sünd leg ab. Biskirchen 1701”.
Bei der größeren Glocke von Johann Jakob Rinck­er lautete die Inschrift:
„soli deo glo­ria. Johann Jakob Rinker von Aßlar goß mich. Biskirchen 1735”.
Bei­de Glock­en wur­den in die neue Kirche über­nom­men. Kaiser Wil­helm stiftete zwölf Zent­ner Kanonen­metall für eine große „Friedens­glocke”, die Rinck­er 1872 mit fol­gen­der Inschrift goss:
„Con­cor­dia. Friede auf Erden!”

Im Ersten Weltkrieg wur­den die Glock­en von 1701 und 1872 abgeliefert. Zwei größere Ersatz­glock­en von F. W. Rinck­er aus dem Jahr 1927 erlit­ten 1942 das­selbe Schick­sal. Spenden und eine Stiftung ermöglichte 1951 die Anschaf­fung eines neues Stahlgeläuts vom Bochumer Vere­in. Die drei neuen Glock­en tra­gen Bibel­verse und die Namen der Spender und der beteiligten Gemein­den. Sie erklin­gen im Te Deum-Motiv. Die Glocke von 1735 (88 kg, Schlag­ton c2) passte wegen ihres anderen Klangs nicht zu dem neuen Geläut, wurde 1951 abmon­tiert und kam 1956 in die neu erbaute Kreuzkirche Stockhausen.